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Titel
Männlichkeit aus dem Äther. Geschlechterkonstruktion in einer Unterhaltungssendung für Männer von Schweizer Radio Beromünster, 1945–1948


Autor(en)
Weber, Jacqueline
Erschienen
Zürich 2013: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Theo Mäusli, Lugano

Eher zufällig, bei ihren Erkundungen zu frauenspezifischen Sendungen, welche wichtige Bestandteile der Radioprogramme von den Anfängen bis in die 1990er Jahre bildeten, ist Jacqueline Weber in den Archiven von Radiostudio Bern auf eine Schachtel mit Unterlagen zu einem Männermagazin gestossen. Das Männermagazin war in den Jahren 1945 bis 1948 produziert und ausgestrahlt worden. Diese bisher unbekannte Facette der Programmgeschichte des Schweizer Radios erstaunt insofern, als dass auch in der gedruckten Presse spezifisch an Männer gerichtete allgemeine Unterhaltungsmagazine erst in den 1980er oder 1990er Jahren auftauchten und weil dies gegenüber den anderen SRG-Radios und auch im internationalen Vergleich ein Einzelfall gewesen zu sein scheint, während ansonsten sich die Programmschaffenden rege Ideen austauschten. Die Autorin sah diesen Fund als Chance, über einen «medien- und diskurstheoretisch erweiterten Doing-Gender und Doing-Masculinity-Ansatz» zu neuen

Erkundungen und Erkenntnissen über die «Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit in einem Medienprodukt aus der Mitte des 20. Jahrhunderts» zu gelangen. Diese Erkundungen im Rahmen einer Basler Dissertation liegen nun in Buchform vor.

Zur Kontextualisierung der Sendung führt Jacqueline Weber die Leserinnen und Leser effizient und kenntnisreich in die Medien- und spezifisch in die Radiogeschichte ein, zeichnet die Entwicklung des Rundfunks hin zu einem Massenmedium nach und bettet diese mediengeschichtlichen Elemente anschaulich in die (Deutsch-)Schweizer Kultur- und Mentalitätengeschichte der unmittelbaren zweiten Nachkriegszeit ein. Ein längerer Teil des Buchs ist methodischen Erklärungen und der Situierung der Geschlechterforschung gewidmet.

Die Analyse der Sendemanuskripte und der wenigen Begleitmaterialien – es sind keine Sendeaufzeichnungen erhalten, möglicherweise wurden solche gar nie aufgenommen – ergibt ein Bild, das zwar in einigen Punkten Männervorstellungen nach gängigen Klischees entspricht: militärische Tugenden, Technikbegeisterung, Unternehmertum, Sport. Doch treten auch deutliche (anscheinend) männliche Schwächen und weibliche Stärken zutage, ja Männer werden mit ihrem Gehabe als Bürochefs und plumpe Verführer der Lächerlichkeit preisgegeben. Im Gegensatz zu den Frauensendungen setzt sich also das Männermagazin nicht grundsätzlich für Männerangelegenheiten ein, weil das, wie die Autorin feststellt, gar nicht als notwendig befunden wurde, war doch mit wenigen Ausnahmen das gesamte Programmangebot stark auf männliche Interessen ausgerichtet («Der Mann als Norm, die Frau als das Andere»). Damit kann auch begründet werden, warum das Männermagazin keine Nachahmung fand und nach drei Jahren abgesetzt wurde.

Die Autorin verzichtete aufgrund der eher dürftigen Quellenlage auf eine Analyse der Gründe, warum es zu dieser eigenartigen Sendung kam. Die vorgeschlagenen Hypothesen leuchten nur teilweise ein, nämlich, dass es sich in der Folge der Soldatensendungen um den Versuch gehandelt habe, den Soldaten die Wiedereingliederung in das zivile Leben zu erleichtern, oder gar um eine Abhilfe gegen die angeschlagene männliche Identität, da Schweizer Soldaten (im Gegensatz etwa zu den polnischen Internierten) der Kampfeinsatz erspart geblieben war. Ein etwas weiterer Blick über die Geschlechterperspektive hinweg und mediengeschichtliche Ansätze ausserhalb der Diskursanalyse hätten in diesem lesenswerten Buch bloss angedeutete Beobachtungen zum Schweizer Radio, die Schweizer ideen- und kulturgeschichtliche Tendenzen widerspiegeln, deutlichere Konturen verschafft. So hätte die Untersuchung von formellen und auch personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Männermagazins zu den Soldatensendungen in der Kriegszeit interessante Facetten der grossen Experimentierfreudigkeit der unmittelbaren Nachkriegszeit aufzeigen können. Zu dieser Innovationslust gehörte auch die Bereitschaft zum Überdenken von Kultur und Gesellschaftsbildern, geleitet auch von der Frage nach der Positionierung der Schweiz im neuen Europa. Der Berner Studiendirektor Kurt Schenker, der letztlich für diese Sendung verantwortlich zeichnete, war in dieser Hinsicht eine überaus interessante und auch recht einflussreiche Person. Das Jahr der Absetzung des Männermagazins, 1948, könnte als Moment des Abbruchs solcher Experimentierfreudigkeit und der Erstarrung in der von Kurt Imhof treffend beschriebenen Zweiten Geistigen Landesverteidigung im Rahmen des Kalten Kriegs stehen. Diese Erstarrung lässt sich gerade am Schweizer Radio sehr gut nachvollziehen, zum Beispiel am Fall des Programmproduzenten Peter Hirsch-Surava, dessen programmlicher Innovationseifer rasch als kommunistische Umtriebe verortet und abgestellt wurde.

Es ist nur zu hoffen, dass dieser Studie und Veröffentlichung weitere folgen werden, welche sich auf das reiche und in zunehmendem Mass der Forschung auch zugängliche Archivmaterial der Radio- und Fernseharchive stützen werden – wenn möglich auch vermehrt mit Blick über die Sprachregionen und Landesgrenzen hinweg. Weber zeigt auf, wie mit solchen gesellschaftlich sehr relevanten, meist auch audiovisuellen Quellen anschaulich über soziale und kulturelle Ausmarchungen, Konstruktionen und Entwicklungen berichtet werden kann.

Zitierweise:
Theo Mäusli: Rezension zu: Jacqueline Weber, Männlichkeit aus dem Äther. Geschlechterkonstruktion in einer Unterhaltungssendung für Männer von Schweizer Radio Beromünster, 1945–1948, Zürich: Chronos Verlag, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 1, 2016, S. 183-185.

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Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 1, 2016, S. 183-185.

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